Beate Ramm übernahm im Mai 2016 die Leitung der Hilfestation Oldenburg der meracon gGmbH. Sie studierte Diplom-Pädagogik in Vechta. Nach einem Abstecher als Kunstgaleristin arbeitete sie über 20 Jahre als freie Journalistin, unter anderem als Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung. Im Magazin ifigenie der IFI Stiftung stand sie Rede und Antwort.
IFIGENIE: Wie schätzt du dich selbst ein?
BEATE: Ich bin sehr aktiv, kommunikativ und kreativ, also ein eher extrovertierter Mensch. Ich mag gerne in hohem Tempo die verschiedensten Dinge erledigen und lange To-do-Listen abarbeiten. Gleichzeitig bin ich für Fragen und Themen ansprechbar. Dabei bin ich spontan und planvoll zugleich. Bei alldem ist wichtig, dass ich mir im Arbeitsalltag eine feste Struktur gebe. Manchmal habe ich das Gefühl, die vielen Themen, die ich bearbeite oder anstoße, kommen alle auf einmal wie ein Tsunami zu mir zurück! Dann heißt es: nicht untergehen, sondern in den Heldenmodus schalten! Was mich noch auszeichnet, ist meine Empathiefähigkeit. Das klappt aber nicht immer, man braucht dafür eine Atmosphäre von Entspannung, Sicherheit und Akzeptanz. Dann stellen die „Empathiesynapsen“ im Gehirn auf Empfang, also eine Art unsichtbare Fäden zwischen zwei Gehirnen (oder Herzen), die bewirken, dass man das Gefühl des anderen erkennt.
Wo, glaubst du, liegen deine Stärken?
Ich bin sehr offen und lasse mein Gegenüber häufig an meinen Gedankengängen teilhaben, zum Beispiel, wenn ich auf der Suche nach der richtigen Antwort oder Lösung bin. Ich ermutige mein Team, mit Schwächen oder Ratlosigkeit offen umzugehen, da wir uns nur so „Trost“ und Unterstützung geben können. (Das ist aber etwas ganz anderes als „Jammern“!) Dadurch werden die Bindungen im Team sehr gestärkt. Und man kann regelrecht beobachten, wie daraus Sicherheit und Stärke entstehen.
Ich habe außerdem eine große Verantwortungsbereitschaft, empfinde mich als „Managerin“ vieler Aufgaben auf ganz verschiedenen Ebenen. Wie diese Ebenen zusammenhängen, finde ich besonders spannend. Ich habe Freude daran zu sehen, wie innerhalb des „Mikrokosmos Team“ und dem „Makrokosmos meracon/Geschäftsleitung“ sowie dem äußeren „Orbit“ der gesellschaftlichen Ereignisse und Entwicklungen immer alles mit allem zusammenhängt! Wie sich zum Beispiel die Klienten durch gesellschaftlichen Wandel verändert haben und wie auch unsere pädagogischen Haltungen und Angebote sich dem anpassen müssen.
Was reizt dich an deiner Arbeit?
Ich habe ja schon einige Dinge aufgezählt, aus denen man heraushört, dass mir meine Arbeit sehr viel Freude macht. Was mich an dieser Arbeit aber außerdem noch reizt, ist der persönliche Gewinn, die Entwicklungsmöglichkeiten. Das heißt, alle pädagogischen Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag, alle Reflexionen über diese Arbeit und alle Lerninhalte aus Fortbildungen bringen einen ja auch persönlich weiter. In früheren Jahren hatte ich die reinsten Erkenntnis-Flashs! Wie zum Beispiel bei der Fortbildung Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg. Kurz gesagt, geht es da um die Fähigkeit, im Konflikt eigene Bedürfnisse zu benennen, mit dem Ziel, eine friedliche Kommunikation zu fördern. Das Verrückte daran ist: Wenn ich mein Bedürfnis für mich selbst erst einmal kenne und pflege („Ich habe das Recht, dieses Bedürfnis zu haben“), verebbt manchmal der Drang, den Konflikt (Machtkampf! Gerechtigkeit!) überhaupt noch ausfechten zu müssen. „Ich habe dein Bedürfnis gehört!“ – damit kann man in vielen Konflikt-Situationen sehr gut weiterkommen.
Wofür bist du immer wieder zu begeistern?
Für das Kontaktmodell! Neulich bin ich einem Mädchen hinterhergelaufen, das wutentbrannt aus der Einrichtung weggelaufen war. Ich habe ihren Namen gerufen, dann, als ich sie eingeholte hatte, meine Arme ausgebreitet und gefragt: „Kannst du das?“ (dich umarmen lassen). Sie hat dann ja gesagt, sich von mir drücken lassen und sehr geweint, ist dann mit zurückgekommen – ein Mädchen, das kaum Kontakt zulässt! Solche Beispiele hätte ich noch mehrere. Ich bin immer wieder selbst überrascht und freue mich, dass es solche Gelegenheiten auch jetzt noch gibt, weil ich als Leitung ja nicht mehr immer so nah am Klienten bin.
Über mich privat möchte ich sagen, dass ich mich sehr für die Kraft der Musik begeistern kann. Nach Jahrzehnten habe ich wieder meine alte Musikanlage aufgebaut und meine Plattensammlung aus dem Schuppen geholt. Abends drehe ich gerne mal auf und sauge die euphorisierende Wirkung meiner Lieblingsmusik in mich ein – herrlich!
Meine Lieblingssprüche sind: Der Teppich des Lebens ist geknüpft aus Begegnungen mit Menschen und „If you get bored, just open your eyes“.
Was magst du von allen Dingen auf der Welt am wenigsten?
Krieg und Gewalt, das ist ja selbstverständlich! Am wenigsten mag ich außerdem, wenn Menschen lügen. Manchmal mag ich keine Ironie. Sie ist meiner Meinung nach ein „Abstandhalter“ und verhindert echten Kontakt.
Worüber kannst du dich immer wieder aufs Neue so richtig ärgern?
Wenn Technik nicht funktioniert! Es gibt so viele Schauplätze, an denen wir da kämpfen. Da bin ich schon oft mit meiner Lösungsorientierung und Lernwilligkeit an meine Grenzen gestoßen, sowohl im Büro als auch in den Wohnungen der Jugendlichen. Die vermeintliche Lösung führt oftmals nicht zum Ziel, dann geht es immer wieder von vorne los. In diesen Situationen kann ich so etwas wie Hilflosigkeit empfinden – das hasse ich! Wie ein Knüppel, der einem im Laufen zwischen die Beine geworfen wird. Ich werde mich nie daran gewöhnen.
Könntest du dir vorstellen, beruflich einmal etwas ganz anderes zu machen?
Nein, das kann ich mir gar nicht vorstellen! Ich habe über 20 Jahre als freie Journalistin gearbeitet, das war ja etwas ganz anderes! Nach zwei großen Fortbildungen bin ich dann wieder in meinen ursprünglichen Beruf als Sozialpädagogin zurückgekehrt. Ich fühle mich am richtigen Platz.
Welches ist dein größter Wunsch?
Ich hätte gerne mal ein Buch über „Böse Mütter“ geschrieben, mit genau diesem Titel. Auch wenn ich weiß, dass diese selbst nur Opfer sind (wie jeder Gewalttäter), ist es für mich immer wieder verblüffend, was Mütter ihren Kindern antun. Sie sind mindestens ebenso oft die Verursacherinnen von seelischen Beeinträchtigungen wie Väter. Durch alle Arten von Druck, Sadismus, Entwertung, „Zerschreien“ und Manipulationen, natürlich auch körperliche Gewalt. Die Geschichten, die wir von unseren Kient/innen hören, auch in der Sozialpädagogischen Familienhilfe, müssten erzählt werden. Meine Notizen habe ich aber weggeworfen. Ich möchte mich so einer Aufgabe nicht mehr aussetzen und in meiner Freizeit auch mal ein bisschen faul sein und mein Leben genießen. n
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